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Eintrittspflicht des Rechtsschutzversicherers bei vom Versicherungsnehmer behaupteten Rechtsverstoß durch Kündigungsandrohung des Arbeitgebers

20. November 2008

I. Der Kläger verlangt von seinem Rechtsschutzversicherer die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren. Versichert ist u. a. die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen.

Der Arbeitgeber teilte dem Kläger mit, dass aufgrund eines “Restrukturierungsprogrammes” und “der damit verbundenen Stellenreduzierung” beabsichtigt sei, ihm zu kündigen, falls er nicht einen ihm angebotenen Aufhebungsvertrag annehme.

Die vom Kläger daraufhin beauftragten Rechtsanwälte wandten sich gegen das Vorgehen seines Arbeitgebers. Eine Kostenübernahme dafür lehnte der Rechtsschutzversicherer ab.

Er ist der Auffassung, dass ein Versicherungsfall nicht eingetreten sei, da noch kein Rechtsverstoß vorliege. Das bloße Inaussichtstellen einer Kündigung begründe  als reine Absichtserklärung  noch keine Veränderung der Rechtsposition des Klägers; dementsprechend stünde ihm auch ein Rechtsbehelf dagegen nicht zur Verfügung. Dies sei allein bei einer unberechtigt erklärten Kündigung möglich. Das Aufhebungsangebot habe sich im Rahmen der Privatautonomie bewegt.

II. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die von dem Rechtsschutzversicherer dagegen eingelegte Berufung hat das Landgericht zurückgewiesen.

Nach dessen Auffassung liegt ein Rechtsverstoß schon in der Kündigungsandrohung selbst. Mit der Erklärung des Arbeitgebers, seine Beschäftigungspflicht nicht mehr erfüllen zu wollen, sei die Rechtsschutz auslösende Pflichtverletzung  unabhängig davon, ob die in Aussicht gestellte Kündigung rechtmäßig sei  begangen und beginne die sich vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr zu verwirklichen. Die Rechtsposition des Klägers sei bereits mit der Kündigungsandrohung beeinträchtigt; ihr Ausspruch nur noch eine rein formale Umsetzung. Eine weitere Pflichtverletzung sah das Landgericht darin, dass der Arbeitgeber dem Kläger trotz Aufforderung die Sozialauswahl nicht dargelegt habe und ihn damit nicht in die Lage versetzt hat, eine sachgerechte Entscheidung treffen zu können.

III. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom heutigen Tage die Revision des Rechtsschutzversicherers zurückgewiesen und damit die Vorinstanzen im Ergebnis bestätigt.

Nach seit langem gefestigter, nicht umstrittener Rechtsprechung des Senats erfordert die Annahme eines Rechtsschutzfalles i. S. von § 14 Abs. 3 Satz 1 ARB 75 bzw. § 4 (1) c) ARB 94/2000/2008 ein Vorbringen des Versicherungsnehmers mit objektivem Tatsachenkern, mit dem er den Vorwurf eines Rechtsverstoßes aufstellt und auf den er seine Interessenverfolgung stützt.

Diese Grundsätze gelten auch für die Androhung einer Kündigung des Arbeitsgebers.

Damit kommt es auf Differenzierungen  wie sie in Instanzrechtsprechung und Schrifttum vorgenommen werden  etwa zwischen Kündigungsandrohung und Kündigungsausspruch, verhaltens- und betriebsbedingten Kündigungen und eingetretenen oder noch bevorstehenden Beeinträchtigungen der Rechtsposition des Versicherungsnehmers nicht an. Ebenso wenig gibt es eine besondere Fallgruppe für Kündigungen von Vertragsverhältnissen oder gar speziell für betriebsbedingte Kündigungen von Arbeitsverhältnissen.

Im zu entscheidenden Fall ist auch der Bundesgerichtshof vom Eintritt eines Rechtsschutzfalles ausgegangen.

Der Kläger hatte ein tatsächliches Geschehen aufgezeigt, mit dem er den Vorwurf eines Rechtsverstoßes durch seine Arbeitgeberin verbunden hatte: Sie habe ihm einen Aufhebungsvertrag angeboten, im Falle der Nichtannahme eine betriebsbedingte Kündigung angedroht, später mitgeteilt, dass er von der geplanten Stellenreduzierung betroffen sei, Angaben zur Sozialauswahl verweigert und dann zugleich ein befristetes Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages unterbreitet. An der Ernsthaftigkeit, das Arbeitsverhältnis auf diese Weise auf jeden Fall beenden und nicht etwa nur vorbereitende Gespräche über Möglichkeiten von betrieblich bedingten Stellenreduzierungen und deren etwaigen Umsetzungen führen zu wollen, bestand nach diesen Behauptungen kein Zweifel. Auf diese vom Kläger behaupteten Tatsachen hatte er den Vorwurf gegründet, die Arbeitgeberin habe ihre Fürsorgepflicht verletzt und damit eine Vertragsverletzung begangen, sie habe eine Kündigung  ohne Auskunft über die Sozialauswahl  in Aussicht gestellt, die  weil sozial ungerechtfertigt  rechtswidrig wäre. Schon mit diesem vom Kläger behaupteten Verhalten begann sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr zu verwirklichen; der Rechtsschutzfall war damit eingetreten.

Urteil vom 19. November 2008 – IV ZR 305/07

Amtsgericht Hannover  Urteil vom 15. Mai 2007 544 C 16386/06

Landgericht Hannover  Urteil vom 17. Oktober 2007 6 S 43/07

Quelle: Pressemitteilung Nr. 213/08 vom 19.11.2008 auf www.bundesgerichtshof.de

Arbeitszeitschutz – Straßenbahnfahrer

19. November 2008

Das sog. Fahrpersonalrecht legt ua. fest, wie lange Fahrer im Straßenverkehr ununterbrochen ein Fahrzeug lenken dürfen und welche Lenkzeitunterbrechungen zwingend einzulegen sind. Kennzeichnend ist das Ineinandergreifen von EG-Recht und nationalem Recht. Die Vorschriften bezwecken die Sicherheit im Straßenverkehr, den Gesundheitsschutz der abhängig beschäftigten Fahrer, das EG-Recht zusätzlich die Gewährleistung des Wettbewerbs im grenzüberschreitenden Straßenverkehrsgewerbe. Derzeit gelten ua. die Verordnung Nr. 561/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (VO), gültig seit 11. April 2007, das Fahrpersonalgesetz (FPersG) vom 6. Juli 2007 und die Fahrpersonalverordnung (FPersV) vom 22. Januar 2008.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wenden auf die bei ihnen beschäftigten Straßenbahnfahrer den einschlägigen Tarifvertrag an. Der Tarifvertrag gestattet, die nach dem Arbeitszeitgesetz oder nach der FPersV zu gewährende Pause durch Lenkzeitunterbrechungen abzugelten, wenn deren Gesamtdauer mindestens ein Sechstel der im Dienst- und Fahrplan vorgesehenen Lenkzeit beträgt.

Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat diese Handhabung der BVG nicht beanstandet. Straßenbahnverkehr mit einer Linienstrecke bis zu 50 Kilometern unterliegt nicht der VO Nr. 561/2006/EG. Den Fahrern von Straßenbahnen ist deshalb nicht, wie in Art. 7 VO vorgeschrieben, nach einer ununterbrochenen Lenkzeit von 4 ½ Stunden eine Lenkzeitunterbrechung von 45 Minuten zu gewähren. Eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers ergibt sich auch nicht aus der FPersV. Ebenso wie die Vorinstanzen hat der Neunte Senat deshalb die auf die Gewährung der Lenkzeitunterbrechung gerichtete Klage abgewiesen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. November 2008 - 9 AZR 737/07 - mit einer Parallelsache
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Juli 2007 - 21 Sa 656/07 -

Quelle: Pressemitteilung Nr. 91/08 vom 18.11.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Sozialplanabfindung bei vorgezogener Altersrente

14. November 2008

Die Betriebsparteien dürfen in Sozialplänen für Arbeitnehmer, die Anspruch auf vorgezogene Altersrente haben, geringere Abfindungsansprüche vorsehen. Das gilt auch, wenn der Rentenbezug mit Abschlägen verbunden ist. Sozialpläne dienen gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz dem Ausgleich oder der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die Arbeitnehmern infolge von Betriebsänderungen entstehen. Sozialplanabfindungen kommt daher eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion zu. Dementsprechend können die Betriebsparteien bei der Beurteilung des Umfangs der voraussichtlichen Nachteile Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigen. Zwar knüpfen Ansprüche auf vorgezogene Altersrente regelmäßig an ein bestimmtes Lebensalter, das Geschlecht oder eine Schwerbehinderung an. Gleichwohl liegt in ihrer Berücksichtigung durch die Betriebsparteien weder eine Verletzung des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes noch ein Verstoß gegen das Verbot, Personen wegen eines dieser Merkmale zu benachteiligen.

Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts wies daher – wie schon die Vorinstanzen – die Klage eines Arbeitnehmers ab, der eine höhere als die ihm nach dem Sozialplan zustehende Abfindung verlangte. Der Sozialplan sieht für Arbeitnehmer, die im unmittelbaren Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf vorgezogene Altersrente haben, geringere Abfindungen vor. Zu diesem Personenkreis gehört der bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses 60 Jahre alte, schwerbehinderte Kläger.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. November 2008 – 1 AZR 475/07 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 4. Juni 2007 – 14 Sa 201/07

Quelle: Pressemitteilung Nr. 88/08 vom 11.11.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Anspruch des Autokäufers auf Rückerstattung gezahlter Reparaturkosten bei nachträglicher Geltendmachung von Gewährleistungsrechten

12. November 2008

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die Frage zu entscheiden, ob der Käufer eines gebrauchten Pkw Rückerstattung eines ihm vom Verkäufer in Rechnung gestellten Reparaturkostenbetrages für die Behebung eines Getriebeschadens verlangen kann, wenn er nach Begleichung der Rechnung zu der Erkenntnis gelangt, dass der Verkäufer gewährleistungsrechtlich zur kostenlosen Beseitigung des Getriebeschadens verpflichtet war.
Der Kläger erwarb Mitte April 2005 von der Beklagten, die einen Autohandel betreibt, einen gebrauchten Pkw Mercedes mit einer Laufleistung von rund 60.000 km. Nachdem der Kläger weitere 12.000 km mit dem Fahrzeug zurückgelegt hatte, trat Anfang Oktober 2005 ein Schaden am Automatikgetriebe auf, der von der Beklagten durch Austausch des Getriebes repariert wurde. Entsprechend den Bedingungen einer bei Vertragsschluss vereinbarten Gebrauchtwagengarantie stellte die Beklagte dem Kläger hierfür 30 % der Materialkosten in Rechnung. Der Kläger beglich die Rechnung über 1.071,38 €. Kurze Zeit später verlangte er die Rückzahlung des Betrages mit der Begründung, er habe in Verkennung der Rechtslage gezahlt; der Beklagten habe kein Anspruch auf Bezahlung der Rechnung zugestanden, weil sie den Getriebeschaden im Rahmen ihrer gesetzlichen Gewährleistungspflicht kostenlos hätte beseitigen müssen.
Das Amtsgericht hat der auf Rückzahlung des Rechnungsbetrages gerichteten Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat Beweis darüber erhoben, ob die Ursache des Getriebeschadens schon bei Übergabe an den Kläger vorgelegen hat oder erst später eingetreten ist. Da sich dies nicht hatte klären lassen, hat es die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte Erfolg.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Beklagte dem Kläger den auf die Reparaturkostenrechnung gezahlten Betrag nach Bereicherungsrecht zurückzuzahlen hat, weil die Beklagte für den eingetretenen Getriebeschaden zur Gewährleistung verpflichtet gewesen ist und deshalb die Kosten der Mangelbeseitigung zu tragen hat. Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die üblicherweise zu erwartende Fahrleistung eines derartigen Getriebes bei 259.000 km liegt, kam als Ursache des Getriebeschadens nur vorzeitiger übermäßiger Verschleiß in Frage, der im Gegensatz zu normalem Verschleiß einen Sachmangel darstellt. Zwar konnte, weil das schadhafte Getriebe nicht mehr auffindbar war, nicht geklärt werden, ob bereits bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger die Anlage für einen vorzeitigen Verschleißschaden vorgelegen hat. Für diesen Fall greift jedoch bei einem Verbrauchsgüterkauf nach § 476 BGB zugunsten des Käufers die Vermutung ein, dass ein innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang zu Tage getretener Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorhanden war.
Anders als das Berufungsgericht es gesehen hat, wird die zu einer Umkehr der Beweislast führende Vermutung des § 476 BGB auch nicht durch ein Tatsachenanerkenntnis des Klägers “überlagert”. Allein in der vorbehaltlosen Begleichung der Rechnung kann ein solches Anerkenntnis nicht gesehen werden. Dies setzt vielmehr in der Regel eine Interessenlage voraus, die zur Abgabe eines Anerkenntnisses Anlass gibt. Dazu hätte es bestimmter Umstände bedurft, die darauf schließen lassen, dass der Kläger bei Rechnungsbegleichung die Ursachen des Getriebeschadens seinem Verantwortungsbereich zurechnete und aus diesem Grund die Rechnung begleichen wollte. Solche Umstände waren hier aber nicht feststellbar. Ebenso wenig konnte es dem Kläger als schuldhafte (fahrlässige) Beweisvereitelung angelastet werden, dass die genaue Schadensursache nicht mehr aufklärbar ist, nachdem die Beklagte den Vorgang nach Rechnungsbegleichung als erledigt angesehen und das bei ihr verbliebene schadhafte Getriebe beseitigt hat (BGH, Urteil vom 11. November 2008 – VIII ZR 265/07).
Vorinstanzen : AG Rheinbach – Urteil vom 6. Oktober 2006 – 5 C 475/05; LG Bonn – Urteil vom 5. September 2007 – 5 S 193/06
Quelle: Pressemitteilung Nr. 207/08 vom 11.11.2008 auf www.bundesgerichtshof.de

Kündigungsschutz und Altersdiskriminierung

10. November 2008

Die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§§ 1 – 10 AGG) finden im Rahmen des Kündigungsschutzes nach dem Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Eine Kündigung, die ein Diskriminierungsverbot verletzt, kann daher sozialwidrig und damit unwirksam sein (§ 1 KSchG). Das Verbot der Altersdiskriminierung (§§ 1, 10 AGG) steht der Berücksichtigung des Lebensalters im Rahmen der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG) nicht entgegen. Auch die Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG) ist nach dem AGG zulässig.

Der im Zeitpunkt der Kündigung 51 Jahre alte Kläger war bei der Beklagten seit 1974 als Karosseriefacharbeiter beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilzuliefererindustrie mit ursprünglich über 5.000 Arbeitnehmern. Seit dem Jahre 2004 kam es wegen mangelnder Auslastung zu mehreren Entlassungswellen. Im September 2006 einigte sich die Beklagte mit ihrem Betriebsrat in einem Interessenausgleich auf die Entlassung von 619 namentlich benannten Arbeitnehmern. Darunter befand sich auch der Kläger. Der Auswahl der zu Kündigenden lag eine Punktetabelle zugrunde. Die Tabelle sah Sozialpunkte ua. für das Lebensalter vor. Die Auswahl erfolgte sodann nicht unter allen vergleichbaren Arbeitnehmern, sondern proportional nach Altersgruppen, die jeweils bis zu zehn Jahrgänge umfassten (bis zum 25., 35., 45. und ab dem 55. Lebensjahr). Der Kläger hat die Unwirksamkeit der ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigung geltend gemacht und sich ua. auf das im AGG (§§ 1, 2, 8, 10 AGG) enthaltene Verbot der Altersdiskriminierung berufen.

Die Klage blieb vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts – wie schon vor dem Landesarbeitsgericht – ohne Erfolg. In der Zuteilung von Sozialpunkten nach dem Lebensalter und in der Altersgruppenbildung lag zwar eine an das Alter anknüpfende unterschiedliche Behandlung. Diese war aber iSd. § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt. Die Zuteilung von Alterspunkten führt mit einer hinnehmbaren Unschärfe zur Berücksichtigung von Chancen auf dem Arbeitsmarkt und im Zusammenspiel mit den übrigen sozialen Gesichtspunkten (Betriebszugehörigkeit, Unterhalt, Schwerbehinderung) nicht zu einer Überbewertung des Lebensalters. Die Bildung von Altersgruppen wirkt der Überalterung des Betriebs entgegen und relativiert damit zugleich die Bevorzugung älterer Arbeitnehmer.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. November 2008 – 2 AZR 701/07 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 31. August 2007 – 16 Sa 293/07 –

Quelle: Pressemitteilung Nr. 87 vom 06.11.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Rücktritt vom Gebrauchtwagenkauf wegen Feuchtigkeit im Fahrzeuginnenraum

5. November 2008

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte darüber zu entscheiden, unter welchen Umständen das Eindringen von Feuchtigkeit in den Innenraum eines verkauften Gebrauchtwagens als ein den Rücktritt des Käufers ausschließender geringfügiger Mangel (“unerhebliche Pflichtverletzung”) i. S. des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB einzustufen ist.

Der Kläger erwarb von der Beklagten, die einen Autohandel betreibt, Mitte 2004 einen gebrauchten Range Rover. Kurz darauf beanstandete er, dass Wasser in das Innere des Fahrzeugs eindringe. In Absprache mit der Beklagten wurde mehrfach versucht, das Fahrzeug abzudichten. Im Mai 2005 beanstandete der Kläger, dass erneut Feuchtigkeit im Bereich des vorderen rechten Fußraums sowie im Bereich des rechten Rücksitzes vorhanden sei, und drohte den Rücktritt vom Kaufvertrag an. Im Juni 2005 erklärte er wegen erneut aufgetretener Feuchtigkeit den Rücktritt vom Kaufvertrag und erhob Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises. Im Rahmen der Beweisaufnahme gelang es dem gerichtlich beauftragten Sachverständigen, die Ursache für den Wassereintritt – zumindest provisorisch – zu beheben. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers hatte Erfolg.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Kläger wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten ist.
Zwar ist der Rücktritt des Käufers regelmäßig nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn die Pflichtverletzung des Verkäufers unerheblich, d. h. der Mangel der verkauften Sache geringfügig ist. Für die Beurteilung dieser Frage ist auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt war die Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeugs dadurch eingeschränkt, dass aus bis dahin ungeklärter Ursache an mehreren Stellen Feuchtigkeit in das Wageninnere eindrang und zwei Fachbetriebe nicht in der Lage waren, Abhilfe zu schaffen. Darin hatte das Berufungsgericht zu Recht einen nicht nur unerheblichen Fahrzeugmangel gesehen. Dass die Ursache des Wassereintritts, wie sich im Zuge der Beweisaufnahme später herausstellte, mit geringem Aufwand zu beseitigen war, stellt die Wirksamkeit des bereits erklärten Rücktritts nicht in Frage. Ein im Zeitpunkt des Rücktritts erheblicher Mangel kann nicht dadurch unerheblich werden, dass es im Verlauf der sich anschließenden Auseinandersetzung einem gerichtlich bestellten Sachverständigen gelingt, den Mangel zumindest provisorisch zu beseitigen.
Der Käufer des Range Rover handelte auch nicht dadurch treuwidrig, dass er an seinem Rücktritt festhielt, obwohl der Mangel von dem Sachverständigen zumindest provisorisch behoben worden war. Das wäre nur dann anders, wenn die provisorische Beseitigung des Mangels durch den Sachverständigen mit seiner Zustimmung erfolgt wäre. Daran fehlte es. Dass der Kläger den Reparaturmaßnahmen des Sachverständigen lediglich nicht entgegengetreten war, wozu er nach erklärtem Rücktritt keine Veranlassung hatte, hinderte ihn daher nicht daran, an seinem Rücktritt festzuhalten (BGH, Urteil vom 5. November 2008 – VIII ZR 166/07).
Vorinstanzen: LG Duisburg, Urteil vom 16. Oktober 2006 – 3 O 308/05; OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. April 2007 – I-1 U 252/06

Quelle: Pressemitteilung Nr. 202/08 vom 05.11.2008 auf www.bundesgerichtshof.de

EuGH: Keine Angabe der Telefonnummer im Impressum

4. November 2008

Der EuGH hatte sich auf ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesgerichtshof mit Entscheidung vom 26.04.2007, mit der Frage zu beschäftigen, ob Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/31/EG („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) dahin auszulegen ist, dass der Diensteanbieter verpflichtet ist, den Nutzern des Dienstes schon vor Vertragsschluss mit ihnen neben seiner Adresse der elektronischen Post weitere Informationen zur Verfügung zu stellen, die einen zusätzlichen Kommunikationsweg eröffnen, und, sofern eine solche Verpflichtung besteht, ob die entsprechenden Informationen zwingend eine Telefonnummer umfassen müssen oder ob eine elektronische Anfragemaske ausreicht.

EuGH hat auf diese Fragen für Recht erkannt:
Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) ist dahin auszulegen, dass der Diensteanbieter verpflichtet ist, den Nutzern des Dienstes vor Vertragsschluss mit ihnen neben seiner Adresse der elektronischen Post weitere Informationen zur Verfügung zu stellen, die eine schnelle Kontaktaufnahme und eine unmittelbare und effiziente Kommunikation ermöglichen. Diese Informationen müssen nicht zwingend eine Telefonnummer umfassen. Sie können eine elektronische Anfragemaske betreffen, über die sich die Nutzer des Dienstes im Internet an den Diensteanbieter wenden können, woraufhin dieser mit elektronischer Post antwortet; anders verhält es sich jedoch in Situationen, in denen ein Nutzer des Dienstes nach elektronischer Kontaktaufnahme mit dem Diensteanbieter keinen Zugang zum elektronischen Netz hat und diesen um Zugang zu einem anderen, nichtelektronischen Kommunikationsweg ersucht (EuGH, Urteil vom 16.10.2008, Az. C298/07).

Art. 5 der Richtlinie 2000/31/EG bestimmt:

„(1) Zusätzlich zu den sonstigen Informationsanforderungen nach dem Gemeinschaftsrecht stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Diensteanbieter den Nutzern des Dienstes und den zuständigen Behörden zumindest die nachstehend aufgeführten Informationen leicht, unmittelbar und ständig verfügbar macht:
a) den Namen des Diensteanbieters;
b) die geografische Anschrift, unter der der Diensteanbieter niedergelassen ist;
c) Angaben, die es ermöglichen, schnell mit dem Diensteanbieter Kontakt aufzunehmen und unmittelbar
und effizient mit ihm zu kommunizieren, einschließlich seiner Adresse der elektronischen Post;
…“

Quelle: Urteil EuGH vom 16.10.2008, Az. 298/07, auf www.curia.europa.eu

Befristeter Arbeitsvertrag – vorübergehender Bedarf an der Arbeitsleistung – Betriebsübergang

4. November 2008

Die Übertragung bisher von der Bundeswehr durchgeführter militärischer Instandsetzungsarbeiten auf eine neu gegründete GmbH stellt keinen Betriebsübergang dar, wenn die bisherige Instandsetzungseinheit durch die Bundeswehr aufgelöst wird.

Der Kläger war bei der Bundeswehr bis zum 30. Juni 2006 als LKW-Mechaniker auf Grund von vier aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen im Regionalen Instandsetzungszentrum des Heeres in S tätig. Dieses war als selbständige militärische Einheit einer Division angegliedert. Nach dem Kabinettsbeschluss zur Umstrukturierung der Bundeswehr sollen die Instandsetzungsarbeiten in Zukunft von einer vom Bund und einer Industrieholding zu gründenden GmbH durchgeführt werden. Daraufhin verfügte die Beklagte am 7. Dezember 2005 die Auflösung des Regionalen Instandsetzungszentrums S zum 31. Dezember 2006. Der letzte Arbeitsvertrag des Klägers hatte folgende Klausel enthalten: „Das Arbeitsverhältnis ist befristet bis zum Erreichen folgenden Zweckes: Bis zur Auflösung des Regionalen Instandsetzungszentrums S; längstens bis 30.06.2006“.

Der Kläger hat die Feststellung der Unwirksamkeit der Befristung, die Weiterbeschäftigung sowie Arbeitsentgelt von der Bundeswehr verlangt. Er ist der Ansicht, für die Befristung fehle es ua. deshalb an einem sachlichen Grund, weil ein Betriebsübergang vorgelegen habe.

Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers blieb vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos, weil ein sachlicher Grund iSd. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG für die Befristung des Arbeitsvertrages des Klägers vorgelegen hat. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war vorhersehbar, dass mit der Übertragung der Instandsetzungsaufgaben ab dem 1. Juli 2006 auf die GmbH kein Bedarf an der Arbeitsleistung des Klägers mehr bestehen werde. Die Übertragung dieser Instandsetzungsarbeiten auf die GmbH, verbunden mit der Schließung des Regionalen Instandsetzungszentrums S hat keinen Betriebsübergang dargestellt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. Oktober 2008 - 8 AZR 855/07 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 13. September 2007 - 4 Sa 1764/06 -

Quelle: Pressemitteilung Nr. 86/08 vom 30.10.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Betriebsübergang in der Insolvenz – Altersteilzeit-Arbeitsverhältnis in der „Freistellungsphase“

4. November 2008

Bei einem Betriebsübergang gehen gemäß dem Altersteilzeitgesetz gestaltete Arbeitsverhältnisse nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auch dann auf den Betriebserwerber über, wenn im sog. „Blockmodell“ die Arbeitsphase schon vor dem Betriebsübergang abgeschlossen war. Das gilt grundsätzlich auch bei einem Betriebserwerb nach Eröffnung der Insolvenz. In diesem Fall sind aber die bereits erarbeiteten Vergütungsansprüche des nicht mehr arbeitspflichtigen Altersteilzeit-Arbeitnehmers Insolvenzforderungen, für die der Betriebserwerber nicht haftet.

Nach langjähriger Tätigkeit als Chefsekretärin bei der R-GmbH schloss die Klägerin im Jahr 2000 eine Altersteilzeitvereinbarung, die im „Blockmodell“ vorsah, dass sie bis 31. Juli 2003 arbeitet. Danach sollte sich für weitere drei Jahre die „Freistellungsphase“ anschließen. Mitte 2004 wurde über das Vermögen der R-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter zahlte der nicht mehr arbeitspflichtigen Klägerin bis 31. Dezember 2004 die Altersteilzeit-Vergütung weiter. Die Beklagte, die den Betrieb der R-GmbH mit Wirkung zum 1. Januar 2005 vom Insolvenzverwalter gekauft hatte, lehnte jedoch die Fortzahlung der Altersteilzeit-Vergütung ab. Diese verlangt die Klägerin bis zum Ende des Altersteilzeit-Vertragsverhältnisses.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Zwar gehen die in der „Freistellungsphase“ befindlichen Altersteilzeit-Arbeitsverhältnisse auf den Betriebserwerber über. Der Senat hält jedoch daran fest, dass die schon vor Insolvenzeröffnung erarbeiteten Vergütungsansprüche als Insolvenzforderungen zu behandeln sind, für die der Betriebserwerber nach den Sonderregeln der Insolvenz nicht haftet. Auch die europäische Betriebsübergangs-Richtlinie steht dem nicht entgegen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. Oktober 2008 - 8 AZR 54/07 -
Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 23. August 2006 - 8 Sa 1744/05 -

Quelle: Pressemitteilung Nr. 85/08 vom 30.10.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de

Vergleichsentgelt bei Überleitung von Arbeitnehmern aus dem BAT in den TVöD

4. November 2008

Nach § 5 Abs. 1 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) ist für die Zuordnung der Beschäftigten zu den Stufen der Entgelttabelle des TVöD ein Vergleichsentgelt auf der Grundlage der im September 2005 erhaltenen Bezüge zu bilden. Ist der Beschäftigte mit einer Person verheiratet, die nach beamtenrechtlichen Grundsätzen einen Familienzuschlag erhält, wird gem. § 5 Abs. 2 Satz 2 TVÜ-VKA bei der Bildung des Vergleichsentgelts die Stufe 1 des Ortszuschlags zugrunde gelegt. Demgegenüber wird bei einem Angestellten, der mit einer Person verheiratet ist, die in der Privatwirtschaft tätig ist, der höhere Ortszuschlag Stufe 2 (Verheiratetenzuschlag) berücksichtigt. Der Kläger hält die Tarifregelung wegen Verstoßes gegen Art. 3 und 6 GG für verfassungswidrig.

Seine Klage war in allen Instanzen ohne Erfolg. Die Tarifvertragsparteien waren berechtigt, bei der Bildung des Vergleichsentgelts zur Sicherung des Besitzstands den Ortszuschlag zu berücksichtigen. Die Übergangsregelung trägt dem besonderen familienbezogenen Charakter dieses Zuschlags Rechnung. Da der Ehepartner, der in einem Beamtenverhältnis steht, ab dem Zeitpunkt der Überleitung des Arbeitsverhältnisses seines Partners in den TVöD statt des halben den vollen Verheirateten-Bestandteil des Familienzuschlags erhält, haben die Tarifvertragsparteien den ihnen zustehenden weiten Gestaltungsspielraum nicht überschritten.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. Oktober 2008 - 6 AZR 682/07 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 8. August 2007 - 2 Sa 1768/06 E -

Quelle: Pressemitteilung Nr. 84/08 vom 30.10.2008 auf www.bundesarbeitsgericht.de